„Ich bin der Vater aller dieser Menschen. Ich bin ihr Schöpfer. Ich habe sie mit unendlicher Liebe erschaffen mit dem Ziel, dass sie völlig glücklich seien. Ich liebe sie weit mehr, als du dir je vorstellen kannst. Ich habe sie erschaffen, damit sie ganz von mir erfüllt, Gott-mit-mir seien, d. h. damit sie lieben, so wie ich sie geliebt habe, bis zur Hingabe meines Lebens für jeden einzelnen von ihnen ... Aber sie wissen es nicht. Deshalb töten sie einander, statt sich zu lieben. Doch nur die Liebe kann sie retten! Lehre sie, sich zu lieben, so wie ich sie liebe ...“
Die Weide-Einkehrwoche in der Karwoche in Köfels hat uns mit einem starken Wirken des Heiligen Geistes überrascht. Überrascht wurden nicht nur die TeilnehmerInnen, sondern auch ich als Vortragender. Denn erst wenige Tage vorher begann sich eine Ausrichtung abzuzeichnen, mit der auch ich zuvor nicht gerechnet hatte. Da begann ich nämlich mit den Vorarbeiten für einen Aufsatz zu den Weltgebetstagen in Assisi von 1986 bis 2011. Titel: „Globale Gewalt und das Ringen um Frieden. Der Beitrag von Assisi.“ Der spezifisch christliche Beitrag gegen weltweite Gewalt und für einen weltweiten Frieden bestand nach der Vision von Johannes Paul II. schlicht und ergreifend in einem gemeinsamen, Völker und Religionen überspannenden „Zusammenkommen um zu beten“. Das wirft die Frage auf: Was kann denn Beten angesichts von einer der härtesten Herausforderungen unserer Welt ausrichten? Denken wir an den kalten Krieg mit dem die gesamte Zivilisation bedrohenden Wettrüsten, der 1986 – zur Zeit des ersten Weltgebetstreffens – noch tobte; oder an den Balkankrieg, auf den Johannes Paul II. mit einem zweiten Assisi-Gebetstreffen 1993 reagierte, oder an den überbordenden Terrorismus des 11. September, dem derselbe Papst ein weiteres Weltgebetstreffen im Jänner 2002 entgegenstellte. Oder die gegenwärtigen ökologischen, ökonomischen und politischen Krisen, die zahllose Menschen weltweit einer massiven strukturellen Gewalt aussetzt. Mancher wird darauf vielleicht tatsächlich sagen: Da kann man nur noch beten. Aber kann denn Beten hier etwas ändern? So hatte schon zum ersten Weltgebetstreffen eine Zeitung einen Beitrag mit dem skeptischen Titel veröffentlicht: „Es reicht nicht, für Frieden zu beten, man muss auch etwas für ihn tun.“ Dem stellte der Papst das Prinzip entgegen: „Es reicht nicht, etwas für den Frieden zu tun, man muss für ihn beten.“ Aber ist das nicht naiv?
Für meinen Aufsatz hatte ich mir zu zeigen vorgenommen, dass Gebet – in rechter Weise vollzogen – tatsächlich eine Welt voller Gewalt verändern kann. Rechtes Beten hält uns nicht von Dialog und tätigem Einsatz für den Frieden fern, sondern bereitet uns darauf in einer geläuterten und effektiveren Weise vor. Rechtes Beten lässt uns eintauchen in die Erfahrung eines liebenden Gottes, der nicht nur für uns, sondern für alle Menschen – auch für unsere Gegner – sich eingesetzt hat und sogar gestorben ist. Diese Erfahrung befähigt uns, „siebenundsiebzigmal“ zu vergeben, also den Dialog nicht abzubrechen, auch in verstockten Gegnern den Keim des Guten zu entdecken und sie auf diese Weise niemals aufzugeben, auf sie immer neu liebend zuzugehen und immer neu die Mühe und das Risiko auf uns zu nehmen, sie mit Unrecht und unterdrückter Wahrheit zu konfrontieren. Dafür gibt es eindrucksvolle historische Beispiele, mit denen ich mich in Vorarbeit für meinen Aufsatz neu zu befassen begann: zum Beispiel die diplomatischen Bemühungen der römischen christlichen Bewegung Sant´ Egidio, die für die Vorbereitung der päpstlichen und jährlicher eigener internationaler Gebetstreffen mitverantwortlich waren. Oder die geradezu mystische Gotteserfahrung, die einen Jean Goss mitten im Zweiten Weltkrieg aus seinem wütenden Töten herausgerissen und zum aktiven Pazifisten gewandelt hatte. Hören wir sein Zeugnis:
„In der Osternacht 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, kurz bevor ich als französischer Soldat gefangengenommen wurde, erwachte ich plötzlich wie außer mir: Eine ungeheure Kraft der Freude, der Gewissheit und des Friedens begann mich zu durchdringen. Ich war so glücklich, dass ich vor Freude schreien wollte, und erfüllt von einem völlig unverständlichen Frieden. Es war mir, als schwebte ich über den Menschen, die, so schien es mir, jeder mit Gier irgendeiner Sache nachliefen. Zur gleichen Zeit erfüllte mich eine ungeheure Liebe zu ihnen. Ich liebte alle Menschen, und der dringliche Wunsch erwuchs in mir, ihnen das unbeschreibliche Glück, das mich erfasst hatte, zu geben. Doch wie? Und ich erhielt eine eindeutige Antwort. Es war eine milde, doch ungeheuer mächtige Kraft, die mich weit über meine Grenzen hinaus öffnete. Ohne etwas zu berühren, zu hören oder zu sehen, verstand ich folgendes: ,Ich bin der Vater aller dieser Menschen. Ich bin ihr Schöpfer. Ich habe sie mit unendlicher Liebe erschaffen mit dem Ziel, dass sie völlig glücklich seien. Ich liebe sie weit mehr, als du dir je vorstellen kannst. Ich habe sie erschaffen, damit sie ganz von mir erfüllt, Gott-mit-mir seien, d. h. damit sie lieben, so wie ich sie geliebt habe, bis zur Hingabe meines Lebens für jeden einzelnen von ihnen ... Aber sie wissen es nicht. Deshalb töten sie einander, statt sich zu lieben. Doch nur die Liebe kann sie retten! Lehre sie, sich zu lieben, so wie ich sie liebe' ...“ (H. Goss-Mayr, Wie Feinde Freunde werden, Freiburg 1996, 19f).
In der Folge – Goss war in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten – nahm sich Goss vor, radikal gemäß der so intensiv erfahrenen göttlichen Liebe zu leben. Da das einen kompromisslosen Einsatz für die jeweils erkannte Wahrheit und Gerechtigkeit beinhaltete, war es in deutscher Gefangenschaft ein lebensgefährliches Unterfangen. Immer wieder schreckte er vor den Konsequenzen seines Vorsatzes zurück, bis er erkannte, dass er seinen Vorsatz einer kompromisslosen Liebe allein nicht würde verwirklichen können. So bat er seine Lagergenossen um Hilfe. Immer, wenn er zurückwich, sollten sie ihn mit der Frage erinnern: „Wo bleibt deine Liebe, Goss?“ – Das geschah dann auch. Denn seine Genossen – teilweise verbitterte Atheisten – schöpften durch die Lebensweise von Jean Goss Hoffnung, dass radikale Liebe nicht nur eine unmögliche Utopie, sondern eine echte Möglichkeit ist. Goss schreckte also nicht mehr zurück, zum Beispiel die Lagerleitung mit begangenem Unrecht zu konfrontieren, – nicht in bitterem Vorwurf, sondern aus jener Fülle göttlicher Liebe, wie er sie in jener Nacht erfahren hatte. Das brachte ihm harte Strafen, Folter und zweimal das Todesurteil ein. Aber der für die Exekution zuständige Nazi konnte sich der durch Goss ausstrahlenden göttlichen Liebe nicht entziehen. Er verweigerte die Erschießung und wurde in der Folge selber abgeführt.
Im Laufe der Jahrzehnte arbeitete Jean Goss – als führender Mitarbeiter des Internationalen Versöhnungsbundes – seine frühen Erfahrungen zu einer Praxis gewaltlosen Handelns aus, in den Fußstapfen großer Vorgänger wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder Cesar Chavez, mit einer tiefen Verankerung in der Erfahrung und dem Glauben an einen jeden Menschen liebenden Gott. Zusammen mit seiner Frau Hildegard Goss-Meyer bildete er zahllose Widerstandskämpfer in Staaten Asiens, Afrikas und Amerikas in der Form einer von Liebe getragenen aktiven Gewaltlosigkeit aus. Zum Beispiel in der gewaltlosen „Rosenkranzrevolution“, die 1986 auf den Philippinen das Unrechtsregime von Marcos stürzte.
Eine gewaltfrei liebende Grundhaltung ist nicht nur in politischen Extremsituationen von Nutzen, sondern ist geeignet, unser tägliches Leben mit seinen zahllosen kleinen Konflikten zu prägen: zwischen den Straßengräben einer Aggression, die die Niederlage des jeweiligen Gegners betreibt und einer Resignation, die die Augen vor geschehendem Unrecht verschließt. Der goldene Mittelweg zwischen beidem zielt nicht auf die Vernichtung des Gegners, sondern darauf, ihn zu gewinnen. Wird er dazu gebracht, in jene Liebe einzustimmen, von der man selber – als Opfer – nicht abgelassen hat, dann haben beide gewonnen. Solches Handeln setzt aber die Bereitschaft zu einem hohen Preis voraus. Es ist nur möglich aus der Grunderfahrung einer göttlichen Liebe, wie sie uns Jesus bis ans Kreuz vorgelebt hat.
Genau um diese Themen ging es in unserer Köfels-Woche. „Wo ist deine Liebe?“ – Diese Frage ist manchem von uns bis in die Ostertage nachgegangen. Sie ist wie ein Gegenstück zur Erfahrung überströmender Gottesliebe in unseren Gebetszeiten. Worum es dabei vor allem ging: Wie leite ich das in den Gebetszeiten emporquellende Wasser von Gottes Liebe auf die trockenen Felder meines täglichen Lebenskampfes? Wenn ich das nämlich nicht tue, sondern mich selbstgenügsam in der Wonne empfangener Liebe räkle, ohne die liebenden Konsequenzen für mein Leben zu ziehen, dann wird dieses Wasser faul. Die schönste Spiritualität, die nicht im Leben umgesetzt wird, droht gefährlich zu pervertieren. Leider gibt es nicht wenige christliche Gemeinschaften, in denen so etwas passiert. Formen von gewalttätigem, sexuellen oder geistlichen Missbrauch sind hier nur die Spitze eines schrecklichen Eisbergs. Ohne dass wir das planten, war diese bedrückende Thematik vom ersten Abend an präsent, – in der schweren Frage, ob man bestimmte christliche Bewegungen trotz wertvoller Anteile, aber wegen bestimmter Schlagseiten noch empfehlen kann. Glücklicherweise blieben wir nicht am Negativen hängen, sondern wurden mit Ausblicken beschenkt, wie die Liebe nicht versiegen, sondern siegen kann. Diese Tage haben so viel bei uns bewegt, dass einige sehr Entschiedene von uns den Vorsatz gefasst haben, mit einer wöchentlichen Arbeits- und Austauschgruppe anzufangen. Wir nennen sie vorläufig die „Widl-Runde“. „Widl“ steht dabei für die Frage: „Wo ist deine Liebe?“
Neu ist auch eine intensivierte Zusammenarbeit mit der Loretto Gemeinschaft (vgl. im Internet: http://www.loretto.at). Das ist eine katholische Bewegung mit Gemeinschaften und Gebetskreisen in ganz Österreich, vor allem für jüngere Christen. Bekannt sind sie vor allem für einen alljährlich stattfindenden Pfingstkongress in Salzburg, an dem tausende junge Christen teilnehmen. Die Ausrichtung von Loretto ist charismatisch, marianisch und eucharistisch. In Innsbruck haben sie Räume bei den Serviten in der Maria Theresienstraße 42a. Seit über einem Jahr bietet die Loretto-Gemeinschaft mehrtägige Zeiten ununterbrochener Anbetung an, mit freien Gebetsformen, die in manchem dem Weide-Gebet ähneln. Unser gemeinsames Anliegen ist ein Gebetsraum oder ein Gebetshaus für Innsbruck. Wir überlegen nun, zusammen nach Räumlichkeiten zu suchen, wo wir – jeder für sich – aber mit engem Austausch miteinander ein offenes Gebetszentrum für Innsbruck aufbauen können. Dazu wollen wir uns erst mal besser kennenlernen. Und dafür haben wir nun für die Frühlingszeit bis zum Juli beschlossen, dass wir die Weide von Freitagabend bis Sonntagabend in den Räumen von Loretto in der Theresienstraße abhalten. Von Montag morgens bis zum Freitag morgens bleiben wir in der Wohnung in der Innstraße. Auch die Lehr- und Austauschabende werden nun wieder – wie schon früher einmal – dort stattfinden und zwar jeden Freitag von 20 bis 22 Uhr. Und zu Beginn jedes Monats werden wir unsere Weide-Zeiten – Samstag 8-9h; Sonntag 20-21.30 – in eine 48-stündige Gebetszeit mit eucharistischer Anbetung einbinden: vom Herz-Jesu-Freitag, 22 Uhr (also nach dem Lehr- und Austauschabend) bis zum Sonntag, 22 Uhr (Ausnahme: im Mai wegen Raumüberschneidungen nur 24-stündig bis Samstag, 22 Uhr).
Wir bitten euch, unsere neuen Entwicklungen mit eurem Gebet zu unterstützen und wünschen euch eine Gesegnete Osterzeit in der Erwartung auf ein neues Pfingsten.
Willibald, mit Hanna und Klara
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Christoph Gstaltmeyr (Sonntag, 22 April 2012 00:54)
Danke für dieses Zeugnis über Jean Goss. Propheten wie Jean Goss wirken noch weit über ihren Tod hinaus. Gelegenheit zum Austausch darüber gibt es ja bald bei euch in Innsbruck, bei der Tagung anlässlich seines 100.Geburtstages. 8.-9.Juni im Haus der Begegnung.