„Der Herr der Heere wird auf diesem Berg für alle Völker ein Festmahl geben mit den feinsten Speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen, mit den besten und feinsten Speisen, mit besten, erlesenen Weinen.“ (Jes 25,6) – Was aber wenn du schon satt bist?
Liebe Weide-Freunde, zunächst einige Informationen für Weide-Besucher: Morgen, Palmsonntag, ziehen wir uns mit einer kleinen Gruppe zu einer Einkehr-Woche nach Köfels zurück. In dieser Zeit wird die Weide in Innsbruck geschlossen sein. Aber in Köfels ist sie Tag und Nacht geöffnet. Besuche sind jederzeit willkommen ☺. Ab Dienstag nach Ostern findet wieder die nächste Weide in Innsbruck statt. In Köfels werden wir auch intensiv um ein offenes Gebetszentrum in Innsbruck beten – ein Anliegen, das uns über die Weide hinaus mit anderen, vor allem der Loretto-Bewegung, verbindet – und dabei hinhören, welche Türen uns Gott öffnen will. Es geht ja hier nicht nur um Planung und organisatorische Fragen, sondern darum, wie und in welcher Qualität wir uns weiterentwickeln sollen. Und es geht nicht nur um uns, sondern um Nöte und um Chancen für viele Menschen in Innsbruck und darüber hinaus. Ich bitte euch, dass ihr uns im Gebet unterstützt. Eine wesentliche Voraussetzung für das Beten ist Reinigung. Im Bild gesprochen: Man kann nicht hören, wenn die Ohren verstopft sind. Man kann nicht „umsichtig“ sehen, wenn der Blick auf etwas Bestimmtes fixiert ist. Man kann eine Chance nicht ergreifen, wenn sich die Hände an etwas anderem festklammern. Reinigung, frei werden, das ist ein tiefer Sinn und eine große Chance der Fastenzeit. „Reinige deine Kehle/Seele“ – oder besser: „Lass sie von Ihm reinigen“, das war ja schon das Thema des letzten Rundbriefs zu Beginn der Fastenzeit. Jetzt, wo mit der Karwoche die Fastenzeit zu einem Höhepunkt gekommen ist, möchte ich das Thema nochmals aus etwas anderer Perspektive aufgreifen. Das Problem von uns Menschen in der nördlichen Hemisphäre ist, dass wir zu reich sind. Und eben das macht uns arm. Stellen wir uns vor, zwei Menschen sind zu einem wunderbaren, „himmlischen“ Festmahl eingeladen. Dieses Festmahl soll irgendwann in den Abendstunden sein, und es ist erst früher Nachmittag. Die erste Person sitzt in einem reichen Eigenheim mit einem vollen Vorratsschrank. Mit Heißhunger bedient sie sich in der Küche: Kekse, Soletti, Cola usw. Am Abend ist sie so vollgepampft, dass sie die wunderbaren Speisen und Getränke nur noch mit einem Gefühl der Übelkeit anschauen kann. — Die zweite Person sitzt auch am Nachmittag hungrig in ihrer Wohnung. Aber diese ist leer. Und in ihrer Armut bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich in Vorfreude auf das Festmahl zu freuen. Und mit großem Hunger und Appetit betritt sie abends den Festsaal. Hier trifft das Wort aus der Feldrede Jesu: „Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes. Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden.“ (Lk 6,20f) Der Vergleich von Pausenfutter – „Junkfood“ – und Festmahl ist für mich hilfreich, denn er trifft einen heiklen Punkt, an dem ich bis in die Gegenwart – konkret: gestern Mittag in einem All-you-can-eat-Restaurant – immer wieder stolpere. Der Punkt, um den es hier geht, ist gerade nicht, dass wir grundsätzlich gutes Essen stehen lassen sollten, um uns nur an Gott zu sättigen. Das würde Jesus, den man einen „Fresser und Säufer“ hatte und dessen erstes Wunder (nach dem Johannesevangelium) die Vermehrung von Wein bis zum Überfluss war, nicht entsprechen. Jesus war großzügig. Er wollte nicht, dass wir weniger, sondern dass wir mehr und besser genießen. Die Evangelien empfehlen Fasten nur im Blick auf die – erfahrene und verheißene - Fülle des Gottesreichs, die in der Begegnung mit Jesus erfahrbar wird:
„Da kamen die Jünger des Johannes zu ihm und sagten: Warum fasten deine Jünger nicht, während wir und die Pharisäer fasten? 15 Jesus antwortete ihnen: Können denn die Hochzeitsgäste trauern, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Es werden aber Tage kommen, da wird ihnen der Bräutigam genommen sein; dann werden sie fasten.“ (Mt 9,14-15)
Wenn die Freude, die Liebe, die Dankbarkeit, die Freundschaft und Großzügigkeit fließen, dann ist zum Fasten kein Grund. Auch Soletti und Cola können dann ihren Ort haben. Wenn aber der Bräutigam fehlt, – die eigentliche Mitte des Hochzeitsmahls –, „dann werden die Jünger fasten“. Dann sind sie nicht bereit, sich mit billigem Futter abzulenken, sondern sie werden mit ihrem ganzen Hunger, ihrer ganzen Sehnsucht sich nach dem Wasser des Lebens ausrichten, das den Durst wirklich stillt, und nach jener Speise, die Jesus selber ist, und durch die jede andere Speise – nicht entheiligt, sondern geheiligt wird. Ein solcher Jünger zu sein, das wäre die Zielvorstellung, hinter die ich immer wieder zurückfalle. Es geht also nicht darum, das gute Essen, die Party, selbst die Disco schlechtzureden. Leibliche Genüsse, Musik, Tanz und Unterhaltung sind Teil von Gottes Schöpfung und ihrer Gestaltung, die uns aufgetragen ist. Gott will, dass wir lachen und feiern. Sonst hätte Jesus nicht den Wein bei der Hochzeit vermehrt. (Auch wenn es ihm dabei nicht um die leiblichen Genüsse ging, sondern um ein Zeichen-Wunder für die Fülle des Gottesreichs: dann hätte er diese Wirklichkeit nicht durch ein Weinwunder erfahrbar gemacht). Es geht darum, ob all diese Genüsse die wahre Mitte von Lobpreis, Staunen und Dankbarkeit – jene Mitte, die den Jüngern in Jesus aufgegangen ist – umgeben oder verstellen. Ob ich bei einem Restaurantbesuch wieder mal „gestolpert“ bin, merke ich deshalb oft erst im Nachhinein, und zwar – wie im Bild – beim Festmahl: wenn ich nach meiner üppigen Mahlzeit in eine Gnadensituation komme und dabei merke, dass ich mich nicht mehr richtig öffnen kann, weil ich körperlich übersättigt bin. Das kann zum Beispiel in einer Gebetszeit sein, in der ich den „Wind des Geistes“ spüre und gleichzeit merke, dass ich zu träge bin, um – wie der Wellenreiter, wenn die Welle gekommen ist – aufzuspringen, mich innerlich zu erheben und in seiner Spur zu bewegen. Oder ich begegne einem Menschen, der mich herausfordert, und – mit einem durch Übersättigung vergröberten Spürsinn – bleibe ich unter den Möglichkeiten jener Liebe, die Gott in mir eigentlich schon geweckt hat. Das unterscheidet christliches Fasten von einer falschen Leistungsaskese: Christliches Fasten dient ganz dem einen Ziel, dass wir Gottes Liebe aufnehmen und weitergeben können, und zwar ganz gleich, wie Gott sie uns – gebrochen durch die Verbiegungen unserer Welt – zuspielt. Wie ein Tennisspieler, der sich in hartem, auch entbehrungsreichem Training vorbereitet, um jeden Ball zu kriegen, den ihm sein Spielpartner zuspielt. Paulus hat einen Sinn dafür entwickelt:
„Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an seiner Verheißung teilzuhaben. Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen, aber dass nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, dass ihr ihn gewinnt. Jeder Wettkämpfer lebt aber völlig enthaltsam; jene tun dies, um einen vergänglichen, wir aber, um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen. Darum laufe ich nicht wie einer, der ziellos läuft, und kämpfe mit der Faust nicht wie einer, der in die Luft schlägt; vielmehr züchtige und unterwerfe ich meinen Leib, damit ich nicht anderen predige und selbst verworfen werde.“ (1Kor 9,23-27)
Der Unterschied zu einer falschen Leistungsaskese: Diese meint, durch Verzichte Pluspunkte für Gott zu sammeln, – für den Himmel oder zur Erhörung von Bittgebeten. Damit schaut man auf den zu leistenden Verzicht – entweder stolz oder mutlos. Für den Spitzensportler, von dem Paulus spricht, wäre eine solche Haltung absurd. Er weiß, dass ihm der Verzicht auf Junkfood und das harte Training an sich überhaupt nichts bringt. Er kriegt für diese „Leistungen“ keine Punkte, die ihm für einen Wettkampf angerechnet würden. Sein Prinzip: Er starrt nicht auf die Schokolade, die er nicht essen soll, sondern er konzentriert sich ganz auf das Ziel, das er vor Augen hat, – und in dieser Perspektive wird die Schokolade uninteressant. Genau so hat es auch Paulus gemeint: Seine Aufmerksamkeit war nicht auf Verzichtsleistungen gerichtet, sondern ganz auf Jesus Christus: „Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an seiner Verheißung teilzuhaben.“ Eine ganz ähnliche Erfahrung hat eine unserer Weide-Besucherinnen kürzlich gemacht. Auf einem Einkehrwochenende bekam sie auf einmal eine unbändige Lust auf Schokolade. Auf dem Weg in die Küche wurde sie von einer Freundin abgefangen, die sie einlud, doch mit ihr in den Gebetsraum zu gehen. Sie ging mit und hatte dort eine wunderbare Zeit. Als sie danach herauskam, hatte sie absolut keine Lust mehr auf Schokolade. Sie sagte, sie hätte sich zwingen müssen, eine zu essen. Nach unserem Bild vom himmlischen Mahl ist das eigentlich logisch. Wer wird nach einem wunderbaren Bankett noch Soletti und Schokokekse in sich hineinstopfen? Was das Bild deutlich macht: Beim Fasten geht es nicht darum, dass Salzstangerln und Kekse an sich schlecht wären, – sie sind nur dann relativ schlecht, wenn etwas Besseres bereitsteht. Wie schaut das im konkreten Leben aus? Wir können ja nicht einfach auf Essen verzichten, weil Gebet besser ist. Und manchmal gibt sich Gott auch durch Schokolade, – zum Beispiel wenn man sie als ein Geschenk erhält und dankbar genießt. Die Erfahrung unserer Gebetsraum-Freundin zeigt, worauf es ankommt. In ihrem Heißhunger auf Schokolade hätte sie sich eine Befriedigung – einen „Trost“, wie etwa der heilige Ignatius sagt – selber verschafft. Diesen Trost konnte sie dann aber auf weit bessere Weise im Gebetsraum finden. Wegen dieser Erfahrung von Gnade war Gebet für sie besser als Schokolade. In anderen Situationen kann Gott sich gerade dadurch schenken, dass man in Gemeinschaft ein gutes Mahl isst. So wie bei Jesus, der dann von Leistungsasketen als „Fresser und Säufer“ bezeichnet wurde. So weit, so klar. Dennoch bin ich immer wieder gestolpert. Meine Schwierigkeit war einfach die: Wann und wie weit ist ein gemeinsames Mahl schon ein Ort, wo sich Gottes Gnade zusagt, oder eine Soletti-Partie, bei der man sich zurückhalten sollte? Ein achtsam vollzogenes Tischgebet kann hier schon vieles klären, weil man dann in einer Haltung des dankbaren Empfangens, frei von Gier isst. Trotzdem braucht es eine Grundhaltung der Gelassenheit, des Loslassen-könnens, – Ignatius spricht hier von Indifferenz. Und diese Grundhaltung kann wiedergewonnen werden durch Zeiten eines Fastens im schlichten Sinn der Enthaltung von übermäßigem und den Gaumen verwöhnenden Essen: bis einem ein bloßes Stück Schwarzbrot und ein Glas Leitungswasser (in Tirol!) wieder richtig schmeckt. Natürlich geht es nicht nur um Essen und Trinken. Die Schokolade ist hier nur ein Symbol, ein Stellvertreter für all jene Kleinigkeiten, mit denen wir uns einen schnellen Trost holen, der uns dann doch nicht wirklich befriedigen kann: Eine willkommene Ablenkung durch eine Internet-Surftour, ein bisschen Fischen nach Komplimenten, eine kleine Shopping-Tour und vieles anderes. Noch eine letzte Anwendung unseres Bildes: Das Festmahl, auf das wir alle warten, ist in einer Woche in der Osternacht. Wäre doch schade, wenn wir übersättigt und träge hingehen würden. Dass es sich genau umgekehrt verhält, das wünsche ich mir und euch. Willibald
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