5. Newsletter: "Geh in Seine Kraft"

Wie bete ich für mich oder für andere, wie lege ich jemandem die Hände auf? Wie finde ich den Mittelweg zwischen einem verzagten „Wenn du kannst, dann hilf vielleicht bitte..." und einem selbstherrlichen „Im Namen Jesu befehle ich ..."?

Zu diesen Fragen hatte ich bisher nur ein paar Gedanken, aber keine konkreten Antworten. Hier stand ich an. Bis mir bewusst wurde: Diese Frage betrifft den übernächsten Schritt. Es gibt noch einen entscheidenden Schritt dazwischen, von dem dann alles Folgende abhängt. Und dieser entscheidende Zwischenschritt lautet: Geh in Seine Kraft ...

Liebe Weide-Freunde,
zunächst wünsche ich euch ein gesegnetes neues Jahr. Dass die Geburt Jesu Christi, die wir vor einer Woche feierten, unser Leben immer tiefer durchformt.
Dann noch kurz zu den Terminen: Ab heute Abend beginnt ein neuer Lehr-Schwerpunkt zum Thema „Geh in Seine Kraft“: Eingebettet in Weide-Gebet, – jeden Montag um 20 Uhr, im Pfarrsaal Innsbruck – Sankt Nikolaus. Und ACHTUNG: Weil sich einige von uns auf der internationalen Gebetshaus-Konferenz in Augsburg befinden, entfällt von Donnerstag 5. Jänner bis Samstag 8. Jänner die Morgenweide. Die Abendweide wird mit Meyrem stattfinden.
Nun zum aktuellen Thema: Vor einigen Jahren nahm ich an einem Seminar mit einem Psychotherapeuten teil. Wenn ein Teilnehmer über sein schlimmes Schicksal berichtete, reagierte er nicht mit Mitleid, sondern manchmal mit der Aufforderung: „Geh in deine Kraft!“. Das hat dann tatsächlich etwas verändert. Ein Teufelskreis von Selbstmitleid und Opferhaltung wurde durchbrochen und neue Perspektiven öffneten sich. Allerdings hat auch diese Intervention ihre Grenzen: Einem Menschen gegenüber, der wirklich ohne alle Kraftreserven ist – zum Beispiel in einem Burnout – ist diese Aufforderung überfordernd und ungerecht. Und manchmal werden Menschen dazu getrieben, mit einer fragwürdigen Gewaltsamkeit ihre Problem nur ein weiteres Mal anzugehen. „Meine Kraft“ ist nicht immer verfügbar. Und wenn sie verfügbar ist, ist sie nicht immer gut.
Vor einigen Wochen dämmerte mir ein Schlüsselprinzip für ein christliches Leben: „Geh in Seine Kraft“. Das ist der logisch nächste Schritt nach dem ersten Weide-Prinzip: „Alles in deine Hände“. Ich lasse alles los und suche Seine Gegenwart. Nicht nur meine Pläne und Probleme gebe ich in Seine Hände, sondern mich selbst. Das ist etwas, was man nicht so einfach machen kann – ich müsste mich erst ganz in der Hand haben, um mich in die Hände eines Anderen geben zu können. Aber durch die tägliche Praxis des Weide-Gebets wächst man mehr und mehr in eine Haltung des Hin-Gegeben-Seins hinein. Und so liegen wir ganz entspannt da und genießen Seine Gegenwart...
Aber wie kommen wir von dieser tiefen Entspannung in die Kraft, wenn wir sie brauchen? Diese Frage hat uns bereits in den Lehrabenden vom Dezember beschäftigt. Jesus trat mit Vollmacht auf, und seinen Jüngern, die er aussendete, gab er die Vollmacht, Dämonen auszutreiben, Kranke zu heilen, Tote aufzuwecken und Aussätzige rein zu machen (Mt 10,8). Etwas von dieser Vollmacht zu wollen, ist keine Vermessenheit, wenn wir täglich mit Menschen zu tun haben, die in schlimmen Problemen verstrickt sind; – Menschen, die Hilfe brauchen und sie auch von Gott erbitten, aber bei denen sich offenbar nicht viel verändert.
Wie kommen wir in diese Vollmacht, die uns Jesus verheißt? Der erste Schritt ist klar, und wir üben ihn täglich ein: Lass alles los und begib dich ganz in Seine Hände. Wenn du ein Problem hast, dann geh nach dem Zehn-zu-eins-Prinzip vor: Von Zehn Minuten Gebetszeit verwende neun allein dafür, Seine Gegenwart zu suchen und zu genießen. In dieser Zeit vergiss dein Problem. Und dann, erst in der letzten Minute, sprich zu ihm: „Ach ja, da war noch was. Ich hab da ein Problem ...“
Soweit der erste Schritt. Aber wie geht es danach weiter? Wie bete ich für mich oder für andere, wie lege ich jemandem die Hände auf? Wie finde ich den Mittelweg zwischen einem verzagten „Wenn du kannst, dann hilf vielleicht bitte...“ und einem selbstherrlichen „Im Namen Jesu befehle ich ...“?
Zu diesen Fragen hatte ich bisher nur ein paar Gedanken, aber keine konkreten Antworten. Hier stand ich an. Bis mir bewusst wurde: Diese Frage betrifft erst den übernächsten Schritt. Es gibt noch einen entscheidenden Schritt dazwischen, von dem dann alles Folgende abhängt. Und dieser entscheidende Zwischenschritt lautet: Geh in Seine Kraft ...
Was damit gemeint ist, wird in den Evangelien vor allem in folgender Heilungsgeschichte deutlich:

„Als Jesus weiterging, folgten ihm zwei Blinde und schrien: Hab Erbarmen mit uns, Sohn Davids! Nachdem er ins Haus gegangen war, kamen die Blinden zu ihm. Er sagte zu ihnen: Glaubt ihr, dass ich euch helfen kann? Sie antworteten: Ja, Herr. Darauf berührte er ihre Augen und sagte: Wie ihr geglaubt habt, so soll es geschehen. Da wurden ihre Augen geöffnet.“ (Mt 9,28-30)

Du hast dir Zeit genommen und bist jetzt in der Gegenwart Jesu. Du spürst, wie gut es tut, einfach bei Ihm zu sein. Was könntest du Ihm antworten, wenn Er dich jetzt fragte: „Glaubst du, dass ich dir helfen kann?“ – Bevor du Ihn mit deinen Anliegen weiter bedrängst, nimm dir Zeit, um dir bewusst zu machen: Er ist der Herr über alle Mächte und Gewalten, alles ist Ihm möglich. Derjenige, dem du dich anvertraust, ist nicht nur voller Liebe und Mitgefühlt, sondern auch jener, dem alle Macht über die Schöpfung gegeben ist. Nachdem wir in Seine Gegenwart eingetaucht sind, geht es also darum, den Glauben wachsen zu lassen. Worin dieser Glaube besteht, wird vom Kommentar der Jerusalemer Bibel gut erklärt:

„Der Glaube, den Jesus seit Beginn seines Wirkens (Mk 1,15) unaufhörlich fordert, ist eine Bewegung des Vertrauens und der Hingabe, in welcher der Mensch darauf verzichtet, sich auf seine eigenen Gedanken und Kräfte zu verlassen, und sich dem Wort und der Macht dessen anvertraut, an den er glaubt“ (Kommentar der Jerusalemer Bibel zu Mt 8,10).

Darum also geht es in diesem zweiten Schritt zur Annahme Seiner Sendungsvollmacht, den wir mit der Aufforderung beschrieben haben: „Geh in Seine Kraft“.
Dieses bedingungslose Vertrauen ist nicht selbstverständlich. Oft ist es nur im Kopf und hat noch nicht unser Herz erreicht. Und manchmal ist es sogar vom Kopf her blockiert. Denn vielleicht haben wir schon oft voller Vertrauen um die Überwindung von Üblem gebeten, und nichts ist passiert. Wie kann ich dann behaupten, dass Jesus alle Macht hat? Wenn Er helfen kann, warum tut Er es dann nicht? Und wenn Er es nicht tut, obwohl Er kann, wie kann Er dann voller mitfühlender Liebe sein?
Auch auf diese Frage – mit dem klassischen Fachbegriff: der Theodizee – werden wir eingehen müssen, damit wir ungehindert in Seine Kraft gehen können.
Dann werden wir uns mit einigen Hindernisse beschäftigen, die uns von einem erfüllten Leben und von Heilung und Befreiung fernhalten, und die überwunden werden, wenn wir in Seine Kraft gehen. Eine dieser „Mächte und Gewalten“, die im wachsenden Glauben auf Seine Kraft überwunden werden können, ist die Definitionsmacht: Immer wieder definieren wir andere und auch uns selber: Wir meinen genau zu wissen, was jemand kann und was er taugt. Wir meinen, die Grenzen von anderen und auch von uns selbst genau zu kennen. „Ich bin krank“ – „Ich bin ein Versager“ – oder auch scheinbar positiv: „Ich bin ein guter Christ“, – „Ich bin ein guter Freund“. Und damit legen wir uns und anderen Korsette an, mit denen die erstaunlichen Änderungen, die in der Begegnung mit Jesus geschehen können, von vornherein blockiert sind. In Seine Kraft zu gehen, heißt, von den Definitionsmächten „dieser Welt“ immer mehr frei zu werden.
Damit ist jetzt das Themenfeld genannt, das uns in den kommenden Lehrabenden mit dem Titel „Geh in Seine Kraft“ voraussichtlich beschäftigen wird. Für jene, die nicht teilnehmen können, werde ich einiges in den Newslettern mitteilen.
Ich wünsche euch einen segensvollen Start ins Neue Jahr – in Seiner Kraft! 
Willibald

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